Kind sein

Kenia 2023

Was bedeutet Kind sein für dich? Spielen, lachen, singen, Blödsinn machen...? Kindheit bedeutet für alle etwas anderes und jede Generation erlebt die Kindheit auf andere Art und Weise. Eines jedoch sollte jedem Kind gebühren, es stellt ein Kinderrecht dar, wird leider jedoch lange nicht mehr befolgt – Kindheit bringt das Recht auf Sicherheit und Geborgenheit mit sich.

Kinder haben in meinem Herzen einen ganz besonderen Platz und wenn es um ein Kind geht, kenne ich Nichts. Die Jüngsten unserer Gesellschaft stellen die Zukunft unserer Erde dar. Sie sind das Morgen, sie sind diejenigen, die die Erde prägen und neue Chancen mit sich bringen. Doch eigentlich sind wir alle Kinder dieser Erde, jedoch vergessen immer mehr Erwachsene, was es heißt, ein Kind zu sein, und verlieren den magischen Blick auf Dinge, den sie als Kind hatten.

Jede Generation durchlebt eine andere Kindheit, jede Kultur prägt seine Kinder auf verschiedene Weise, jedes Kind erfährt andere Chancen. Kindheit in Kenia stellt einen großen Unterschied zur heutigen Kindheit in Österreich dar. Beide Länder haben komplett andere Erwartungshaltungen an die Jüngsten unserer Gesellschaft und doch gibt es so viele Parallelen. Da sich der Blog jedoch mit meinen Erfahrungen aus Kenia beschäftigt, werde ich nicht allzu sehr auf meine Geburtsheimat eingehen und lade dich ein, selbst deine Kindheit zu reflektieren und Parallelen zu finden, natürlich nur, wenn du möchtest 😉.

Die Kinder in Kenia befinden sich seit zwei Wochen in den großen Ferien. Im Jänner 2024 geht es dann wieder ab in die Schule. Ferienbetreuung gibt es hier nicht. Die Kinder haben tatsächlich einfach frei und dürfen daheimbleiben, mit Freunden spielen und Zeit mit der Familie verbringen. Für eine österreichische Elementarpädagogin, wie ich es bin, stellen sich nun so viele Fragen und diese diskutiere ich kurzerhand auch mit meinem Freund.

Kinder hier in Kenia und auch in vielen weiteren Teilen Afrikas, sind es gewohnt, ihre Familie bei täglichen Hausarbeiten zu unterstützen. Diese reichen von Wasser holen (damit verbunden sind oft kilometerlange Märsche) über beim Wäsche waschen helfen bis zum Aufpassen auf die jüngeren Geschwister und vielem mehr. Die meisten Kinder sind oft einen ganzen Tag auf sich selbst gestellt und das bringt mit sich, dass Kinder hier viel schneller Verantwortung übernehmen müssen/dürfen/sollen. Nimm es, wie du es sehen willst. Das bringt auch mit sich, dass es oft schwer einzuschätzen ist, wie alt junge Erwachsene tatsächlich sind. Deshalb mache ich schon lange keine Altersratespiele mehr, sondern frage gleich danach und lasse mich nicht mehr darauf ein, da ich die meisten ein paar Jahre älter schätzen würde.

Die Kinder hier spielen tatsächlich den gesamten Tag. Sehr beliebt ist Fußball bei den Buben und die Mädchen machen oft Catwalks oder brauen Hexentränke zusammen. Gemeinsam wird Fangen gespielt oder mit Spielsachen, die sie zur Verfügung haben. Doch wer schaut auf die Kinder? Wo sind die Eltern? Was ist mit den Kleinkindern im Alter zwischen zwei und fünf? Es gibt tatsächlich für jede Frage eine absolut plausible und verständliche Antwort, auch wenn ich es bis jetzt komplett anders erfahren habe. Kurz: Ich persönlich durfte den ganzen Tag in den Ferien mit unseren Freunden in unserer Straße spielen, deshalb erwacht hier gerade wieder mein inneres Kind und freut sich irrsinnig, dass es den Kindern hier gleich geht.

In jedem Apartmentkomplex hier gibt es sogenannte „Soldiers“ – am Ehesten ließen sich diese Männer und Frauen als Hausmeister:innen beschreiben. Sie öffnen dir das Gatter, wenn du mit dem Auto kommst, richten den Strom und sonstige Dinge und sind einfach da. Tja, und sie übernehmen die Rolle der Kindersitter:innen an freien Tagen oder natürlich in den Ferien. Wer nicht den Luxus von solchen Hausmeister:innen hat, greift auf Verwandte zurück, die sich tagsüber um die Kinder kümmern. Oft sind diese Verwandten auch die älteren Geschwister, die sich um die Jüngeren kümmern. Das habe ich jetzt schon des Öfteren beobachtet. Die älteren Geschwister sind ziemlich oft die „Babysitter“ der Jüngeren. Oft sind sie es, die ihre kleineren Geschwister beruhigen, mit ihnen spielen gehen oder zum Beispiel vergessene Milchfalschen aus dem Auto holen. Wenn keine Verwandten oder sonstigen Leute zur Verfügung stehen, um auf die Allerkleinsten zu schauen, bleibt ein Elternteil daheim und der andere geht arbeiten. Wie gesagt, Fremdbetreuung wie Sommerkindergarten, Sommerhort oder Sommerschule sind hier nicht verfügbar.

Kinder sind hier im Großen und Ganzen auf sich allein gestellt und dürfen voneinander und miteinander lernen und die Welt entdecken. Die Eltern vertrauen ihnen und lassen sie einfach in den Tag hineinleben. Ich beobachtete vor einem Monat eine Szene, wie ich sie daheim wahrscheinlich nur äußerst selten bzw., um ehrlich zu sein, nie erleben würde. Ich stand auf meinem Balkon und schaute auf den Häuserkomplex mit Garten vor unserem Haus. Dort laufen täglich Kinder im Alter zwischen zwei und zehn herum. An diesem Tag waren fünf Kinder im geschätzten Alter zwischen zwei und fünf Jahren im Garten und spielten. Die Kinder legten ein Feuer an. Das Feuer brannte mächtig und fing sofort Flammen ohne viel Schnickschnack, es brannte einfach. Die fünf Kinder rannten hin und her und holten altes Holz, Stroh und Co., was hier tagtäglich verbrannt wird. Das jüngste Kind - es konnte gerade einmal gehen und stehen - stand die längste Weile in bedrohlicher Nähe des Feuers. Es hätte jederzeit Feuer fangen können, streckte immer wieder die Hand nach dem Feuer aus und tanzte herum. Die anderen Kinder brachten immer mehr brennbares Gut und nichts, absolut nichts passierte, außer, dass sie ein prachtvolles Feuer hatten. Sie spielten rundherum, und das mit Respekt und Vertrauen. Ich merkte, dass ich absolute Beobachterin war und verspürte überhaupt keine Panik, vielmehr empfand ich ein Urvertrauen und schaute dem ganzen Schauspiel mit Faszination zu. Kein:e Erwachsene:r schrie, dass dies gefährlich sei oder sie das sofort lassen sollten. Irgendwann kam ein Mann, jedoch marschierte er in Ruhe und Gelassenheit vorbei und sagte nichts zu den Kindern, sondern ließ sie einfach weiterspielen.

Mir ist bewusst, dass dies ein echt krasses Beispiel ist, jedoch bringt es den Unterschied auf den Punkt. Doch mir wird hier immer und immer wieder bewiesen, dass Kinder einfach Vertrauen brauchen und nicht ständig unter Beobachtung stehen müssen. Rund um unser Haus spielen den gesamten Tag Kinder im unterschiedlichsten Alter miteinander. Niemand maßregelt sie, schränkt sie ein oder verbietet ihnen etwas. Sie dürfen einfach spielen! Streiten und Weinen ist eine absolute Seltenheit, und wenn es vorkommt, darf das Kind weinen und streiten und es sich mit den anderen selbst ausmachen.

Kinder brauchen Raum für ihre Fantasie, Raum, um sich selbst in dieser Welt zu spüren und zu entfalten. Kinder brauchen Liebe, Vertrauen und Grenzen. Zu guter Letzt noch Worte meines Freundes, die absolut wahr sind und mich auch zum Überlegen gebracht haben: „Die Kinder haben Ferien und somit frei. Lernen tun sie dann wieder in der Schule!“ Um uns ehrlich zu sein, in der schulfreien Zeit lernen sie für das Leben, vor allem, wenn sie den ganzen Tag mit Freund:innen unterschiedlichsten Alters die Welt entdecken dürfen.