Der zerplatzte Traum
Kenia 2023
Wazungus oder Muzungus. Wie du inzwischen weißt, werden weiße Leute aus Amerika, Australien und Europa hier so genannt. Doch hinter dem Begriff steckt viel mehr als nur ein Wort, was manchmal wirklich lästig sein kann. Alle Asiat:innen sind hier automatisch Chines:innen. Die Einheimischen nennen sich selbst „Blacks“ und Afro-Amerikaner:innen, werden „Black Americans“ genannt. So bekommt jede ethnische Gruppe einen Namen, doch mit dem Wort Muzungu kommt noch viel mehr.
Als Muzungu bist du ein herumwanderndes Geldbündel. Afrikaner:innen assoziieren sofort Reichtum mit einem Muzungu. Das Bild, dass ein Mensch aus den westlichen Ländern unter einem Baum sitzt und das Geld nur so auf ihn herunterfällt, ist tatsächlich in den Köpfen vieler Afrikaner:innen. Doch das haben wir uns selbst geschaffen. Hinter jeder Organisation steckt zu 98% ein weißer Sponsor. Hier in Kenia hauptsächlich Amerikaner:innen. Das ist ja gut und recht, jedoch kann es hart für Menschen so wie mich sein, die einfach nur eine gute Zeit haben wollen und selbst kein großes Geldbündel haben. Wie schon erwähnt, gefühlt jeder fünfte Mann würde gerne dein Ehemann sein, denn dann hat er es geschafft. Bitte jetzt nicht falsch verstehen, ich finde es sehr gut, dass es hier Organisationen gibt, die alle möglichen Dinge zustande bringen, und dass diese gesponsert werden. Um das geht es hier nicht, auch die Tourist:innen tragen ihren Teil zum „Klischee Muzungu“ bei indem sie oft freiwillig einfach mehr zahlen, weil sie ja das Geld haben, anstatt zu handeln und die gleichen Preise wie die Einheimischen zu bezahlen. Denn das Leben hier kostet auch etwas und ist nicht gratis, so wie es vielleicht viele Muzungus sehen.
Ich habe mich kürzlich mit zwei Frauen im Alter von 25 Jahren getroffen. Eine der beiden wurde von unserer amerikanischen Freundin gesponsort, sie sind auch immer wieder in Kontakt. Daher schrieb ich Veronica, der Kenianerin, da sie auch in Kisumu ist. Sie traf mich auf ihrem College Campus ab und dann gingen wir zu ihr nach Hause. Dort waren noch zwei Studienkolleg:innen von ihr. Niver und Veronica leben in einem sehr einfachen Haus aus vier Wänden und einem Blechdach. Das Zimmer ist mit einem Tuch getrennt. Hinter dem Tuch die Matratze der beiden, die auf dem Boden liegt, davor alles andere. Ein Tisch, zwei Hocker, Wasserkanister, Schüsseln und alles Mögliche an Arbeitsmaterial. Mittlerweile sind die beiden wie zwei Freundinnen für mich. Wir quatschten vier Stunden lang und zwar wirklich über alles und das auch sehr offen. Das Gespräch war mega interessant und wir lösten viele Vorurteile aus beiden Kulturen auf.
Ich zerstörte wohlmöglich das Bild der Muzungus und des „American Dreams“ der Beiden. Das fing schon damit an, dass ich meine Schuhe auszog, als ich das Haus betrat, obwohl sie meinten ich könnte sie anlassen. Dann ging es weiter, dass ich überhaupt das Haus betrat, war für Niver eine neue Erfahrung. Als wir schrieben, meinte Niver zum Scherz zu Veronica, sie könnte mir ja schreiben, dass ich zu ihnen nach Hause kommen könnte. Veronica tat dies und beide rechneten nicht damit, dass ich zusagen würde bzw. überhaupt ins Haus eintreten würde. Dann war da noch die Geschichte mit dem Ugahli - Maisgrieß. Sie hörten von Freunden, dass dies bei uns in Europa nur die Kühe fressen und nicht die Menschen. Ich, Traumzerplatzerin, erwiderte mit nein und zeigte ihnen ein Bild von Polenta.
Wir kamen auf das Thema Armut zu sprechen. Für die Beiden war bis jetzt das Thema Armut nur in Afrika vorhanden. Sie schauten mich ganz verdutzt an, als ich ihnen erklärte, dass es auch bei uns arme Menschen gibt und Menschen, die auf der Straße leben, Menschen, die nicht so privilegiert sind wie ich. Sie fragten mich mit voller Verwunderung, wie die denn aussehen, ob die gleich aussehen wie ich.
Das nächste Thema war Hochzeit und Scheidung. Auch hier verblüffte ich sie wieder, als ich meinte, dass dies bei uns genauso Thema sei wie hier bei ihnen in Kenia. Wir sprachen über das Fremdgehen und warum eine Ehe nicht funktionieren kann. Niver hatte eine sehr starke Meinung zu dem Ganzen und meinte, sie würde die Männer schon verstehen, wenn sie fremdgehen. Hier sind es tatsächlich eher die Männer, gleichzeitig nicht nur. Sie meinte auch in einer Ehe sollten die Frauen sich bemühen ihrem Mann zu gefallen und ihn nicht einfach fallen lassen. Dann stellten wir alle drei fest, dass das Thema Kommunikation das A und O einer Ehe bzw. Beziehung ist, und dass das Mobiltelefon da schon sehr viel Schaden anrichten kann.
Des Weiteren waren sie sehr erstaunt, als ich dann sagte, ich würde jetzt wieder nach Hause gehen. Sie schauten mich fragend an und meinten, du fährst aber schon mit dem Boda Boda oder? Ich erwiderte „Nein“ und sagte ihnen, dass es erstens nur 20 Minuten sind und zweitens möchte ich ja die Stadt kennenlernen und das tue ich am besten zu Fuß. Wir gingen dann zu dritt wieder zum Campus, da die beiden für die kommenden Prüfungen lernten. Bevor wir uns verabschiedeten, gab es noch ein Fotoshooting. Das ist hier gang und gäbe bei den jungen Frauen und für mich noch sehr herausfordernd, da ich nicht gerne Bilder von mir selber mache. Bevor wir dann alle unserer Wege gingen, meinten sie noch einmal zu mir: „Alina you are very humble! And not at all the kind of Muzungu we expected.”
Was hier auch noch herpasst, was die Unterschiede oder eben nicht anbelangt, das Thema Tod und Suizid ist leider ziemlich aktuell, gerade im Umfeld meines Freundes. Das extrem Irritierende ist, dass wir seitdem ich hier bin, immer wieder darüber sprechen und uns austauschen, wie zum Beispiel ein Begräbnis bei uns in Österreich aussieht und wie ein Begräbnis hier in Kenia aussieht. Das Thema Depression wird hierzulande als „Luxuskrankheit“ gesehen.
Im Endeffekt unterscheidet uns nur eine Sache und das ist unsere Hautfarbe. Wir sind alles nur Menschen mit Gefühlen, Knochen, Haut, Haar und Blut. Auf der ganzen Welt gibt es böse und gut, arm und reich, klein und groß, dick und dünn. Ich darf das immer mehr feststellen und die Leute um mich herum auch. Ich steche heraus aus der Masse aufgrund meiner Hautfarbe, jedoch bin ich gleich wie jede: r andere. Auch nur ein Mensch der das Wunder „Leben“ erleben darf.