Leben zwischen zwei Kulturen
Kenia 2023
Puh, diese Woche sind die Artikel sehr persönlich. Gleichzeitig ist es mir sehr wichtig authentisch zu sein und Dinge auf den Tisch zu legen, so wie sie sind, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen oder eben nicht. Tja, dann machen wir gleich weiter. Wie du inzwischen weißt, verbrachte ich schon viel Zeit meines Lebens auf diesem Kontinent. Ich tauchte immer wieder in verschiedene afrikanische Kulturen ein und dann auch wieder aus. Ich durfte sie immer wieder beschnuppern und wurde ein absoluter Fan davon.
Die Einfachheit und die Gelassenheit der Menschen zogen mich in Bann. Ich verliebte mich in den Gedanken: Weniger ist Mehr. In Europa haben wir einen Reichtum an materiellen Dingen, in Afrika haben wir einen Reichtum an Lebensfreude und Glückseligkeit. Das war einer der Hauptgründe, der mich an diesem Kontinent fesselte.
Doch um ehrlich zu sein, stoße ich tagtäglich an meine Grenzen. Ein Leben in einer anderen Kultur ist schon sehr herausfordernd. Wie gerade beschrieben, habe ich die Kultur bis jetzt immer wieder verlassen und das im Herzen behalten, was mir guttat. Dieses Mal lebe ich sie und inhaliere sie, denn so schnell werde ich dieser Kultur nicht den Rücken kehren. Jedoch in einem Land zu leben, in dem ich schon alleine wegen meiner Hautfarbe heraussteche, ist und kann sehr intensiv sein. Tagtäglich wirst du daran erinnert, dass du anders aussiehst und hier als was Besonderes giltst. Die Einheimischen sehen in dir das Geld, das sie meinen, dass uns einfach in den Schoß fällt. Du wirst dauernd damit konfrontiert, dass du von anderer Natur bist. Schutz findest du in deinen eigenen vier Wänden und bei den Leuten, die dich kennen und deine Geschichte kennen. Es wird dir ständig versucht mehr Geld abzunehmen, aufgrund deiner Hautfarbe. Vor allem die Biggi Biggi Fahrer, auch Boda Boda Fahrer genannt, nutzen diese Chance erbarmungslos aus. Gerade gestern zahlten wir um das Doppelte mehr, als eigentlich verlangt werden sollte, aufgrund meiner Hautfarbe. Was dazu kam, dass wir den Weg nicht kannten und der Biggi Biggi Fahrer sich das zu Nutzen machte. Später erkundigte ich mich und mir wurde gesagt, dass eine Fahrt höchstens 400 Kenia-Schilling kosten würde anstatt 800 Kenia-Schilling. Mittlerweile kenne ich die Preise und weiß genau, wie viel ich zahlen soll oder nicht. Es wird selbst wenn wir zu zweit sind versucht mehr zu verlangen, nur weil ich dabeistehe. Deshalb stehe ich oft im Abseits, damit man nicht sofort sieht, dass wir zusammengehören.
Manchmal kommt es mir vor, wie ein Leben zwischen zwei Fronten. In dir selbst lebt deine eigene Kultur, deine Komfortzone. Rund um dich herum, erfährst du die neue Kultur, ein ständiger Lernprozess. Auch wenn ich schon so viel Zeit in dieser Kultur verbracht habe, ist es dieses Mal am intensivsten. Ich bin in nichts eingebunden, nur dem realen Leben. Dem Leben außerhalb einer Organisation, dem Leben der Einheimischen.
In deinem persönlichen Leben versuchst du zwei Kulturen miteinander zu verbinden. Beiden Kulturen „Ehre zu erweisen“, beide Kulturen in dir aufleben zu lassen. Ich habe einen Weg für mich gefunden und eine Person, die mich hierbei unterstützt. Wir haben in unseren vier Wänden unsere eigene Kultur kreiert und das schon viel früher, als uns bewusst war. Wir verbinden unsere Kulturen und lassen beide aufleben, doch dann setzen wir unsere Füße vor die Türe und unsere kleine Kultur wird verschattet von der Kultur, die tagtäglich außerhalb unserer Mauern stattfindet.
Dann gibt es auch Zeiten, wo die Kulturen aneinander crashen. Gestern traf die europäische Pünktlichkeit auf die African Time. Ich wurde nervös, da ich einen Termin um 10:30 Uhr hatte. Meine europäische Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit stieß auf die afrikanische Gelassenheit. Ich wusste genau, dass nichts passieren würde, wenn ich zu spät kommen würde, gleichzeitig ließ es sich ganz schwer mit mir vereinbaren, dass ich zu spät kommen würde. Tatsächlich kam ich erst um 11:10 Uhr bei der Organisation an. Irgendwann konnte ich die Nervosität ausschalten, mit dem Argument, dass mich diese Organisation zweimal versetzt hatte und ich vorgestern eine Stunde auf den Verantwortlichen gewartet hatte. Tja, ein Mittelmaß wäre die Lösung.
Ich befinde mich aktuell im persönlichen Wandel auf allen Ebenen meines Lebens. Ziehe das erste Mal aus meinem Nest aus und dann gleich ganz radikal in ein komplett anderes Land, fernab von den Vorstellungen von Familie, Verwandten und Freunden. Seit einem Monat versuche ich mir einen neuen Alltag in meiner neuen Heimat aufzubauen. Alte Verhaltensmuster mit neuen zu vereinen. Mir selbst treu zu bleiben. Aus meiner Komfortzone in meine Lernzone zu schlüpfen. Mir bewusst zu machen, was die neue Kultur von mir verlangt und gleichzeitig meine eigene nicht zu vernachlässigen. Zu meinen Prinzipien zu stehen und neue aufzunehmen. Doch zum Erstaunen aller, habe ich mich hier schneller eingelebt, als wir es alle für möglich gehalten haben.
Es ist noch kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht etwas Neues erfahren oder lernen durfte. Ich lebe ein Leben der Einfachheit und habe manchen Komfort hinter mir gelassen. Ich ließ den Stress hinter mir und lebe hier in den Tag hinein. Wenn es Pläne gibt, kannst du dir sicher sein, dass sie über den Haufen geschmissen werden. Ja, ich komme an meine Grenzen und ja, es gibt immer wieder Tage, an denen ich einfach nur mein Komfortessen und Familie und Freunden um mich herum haben möchte. Einfach mit gleichaussehenden Menschen den Tag verbringen und mich in meiner Muttersprache unterhalten. Doch dann kommen Kleinigkeiten aus dem Nichts und ich weiß, dass ich hier und jetzt am absolut richtigen Platz der Erde bin. Auch wenn ich den Komfort und Luxus zurückgelassen habe, möchte ich im jetzigen Augenblick nicht tauschen. Denn ich habe mich selber nicht verlassen, sondern bin meinem Herzen nachgegangen und darüber bin ich extrem dankbar und glücklich.
Dieser Gedanke fasst mich gerade zusammen:
“The day you start living in another country you're no longer a tourist or traveler but you're not a native either you become something in between your old life and your new one and it doesn't matter how long you go for or if you come back you'll always be part of the collective who've lived this unique experience and know all too well the feeling of belonging and not really belonging of living within the in between and knowing that both feeling homesick and at home comfort the unknown can exist at the same time.”