Die unbequeme Wahrheit

Tansania 2021

Wir verbrachten zu siebt einen wunderschönen Nachmittag mit Eugen und den Guides beim Mount Meru Wasserfall. Es war der letzte Tag, an dem wir sieben jungen Frauen beisammen waren und diesen wollten wir nutzen. Amelie (Belgien) würde am nächsten Tag nach Sansibar fliegen und Seyma (Türkei) und Zofia (Frankreich) folgten drei Tage später. Dann wären wir nur noch vier übers Wochenende, und zwar meine drei Mädels, Manon (Schweiz), Isabel (Mexiko) und Roisin (Irland). Also gut, zurück zu unserem Ausflug. Wie immer saßen wir mit lauter Musik im Auto und fuhren zum Wasserfall. Dort begleiteten uns Guides zum Wasserfall. Dafür mussten wir zuerst über einen steilen Weg in das „Tal“ und dann noch ziemlich lang entlang des kleinen Bachs zu dem Wasserfall. Dort angekommen machten wir Fotoshootings und genossen die frische Luft und das Ambiente.

Beim Zurückgehen sprang ich den Guides hinterher und folgte ihren Fährten, das führte irgendwann so weit, dass ich auf einer Steininsel landete und nicht mehr weiterkonnte. Natürlich hatten dann alle, inklusive mir, etwas zu lachen und ich begriff wieder einmal, dass es doch besser ist, den eigenen Weg zu gehen und nicht immer zu versuchen in anderen Fußspuren Platz zu finden, sondern meinen individuellen Weg einzuschlagen.

Zuhause angekommen ruhten wir uns alle etwas aus, packten unsere Koffer, telefonierten mit unseren Familien und Freunden und machten uns dann bereit für unser Abendessen, das wir in einem Restaurant genießen würden. Ich telefonierte mit meiner Familie daheim und war zuerst vor dem Haus. Roisin war auch im Garten und telefonierte mit einem ihrer Freunde. Ich ging zurück in das Zimmer, da ich mich noch fertig richten wollte und telefonierte währenddessen weiter. Unser Zimmer hatte ein Fenster und Vorhänge. Das Fenster hatte Gitterstäbe, so dass niemand durchkonnte.

Als ich in das Zimmer ging, blieb ich im Türrahmen stehen. Der Vorhang machte eine komische Kurve und hing in einem der Gitterstäbe fest. Das gefiel mir gar nicht und mein Bauchgefühle sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Zufällig kam Roisin genau in dem Moment um die Ecke und steuerte auf unser Zimmer zu. Meine Familie war immer noch am Apparat, jedoch legte ich dann auf. Roisin und ich standen im Türrahmen und rätselten was passiert sein konnte. Ziemlich schnell legten wir uns darauf fest, dass wahrscheinlich ein Windhauch den Vorhang deformiert hatte. Im Nachhinein gesehen absolut unmöglich, das hätte ein Hurricane hingebracht kein leichter Windhauch. Deshalb stieg ich auf mein Bett und richtete den Vorhang. Wir gaben dem Ganzen nicht mehr viel Aufmerksamkeit und machten uns fertig für den Abend.

Wir fuhren zu einem Pizzarestaurant und genossen ein sehr gutes italienisches Essen. Wir lachten viel und quasselten noch mehr. Wir hatten einen richtig gemütlichen und feinen Abend. Zuhause im Sawa Sawa Haus angekommen, machten wir eine Gruppenumarmung und verabschiedeten uns. Wir wuchsen über die letzten paar Tage ziemlich zusammen und nun wäre es an der Zeit Abschied zunehmen und bald würden wir nur noch vier statt sieben Mädels sein.

Ich ging ins Zimmer und Roisin war im Badezimmer. Ich wollte mein Handy anstecken und konnte nichts von meinen elektronischen Sachen finden. Ich suchte und suchte, wurde jedoch nicht fündig. Das waren die längsten drei Minuten meines Lebens, die Roisin im Badezimmer verbrachte. Als sie herauskam sagte ich ihr, dass alle meine elektronischen Dinge weg waren. Wir konnten weder die Kamera noch meine Powerbank, das Aufladekabel und meine Kopfhörer finden. Der Inhalt meines Rucksackes war in Roisins Schmutzwäschekorb.

Wir gingen hinaus und weckten die anderen wieder auf und holten unsere Mamas. Es stellte sich heraus, dass Isabell ihre Apple Uhr vermisste und sonst alle alles hatten. Ein paar der Mädels machten die Mamas dafür verantwortlich, doch für mich war von Anfang an klar, dass dem nicht so sei. Jessica, eine der Mamas, nahm mich an diesem Abend noch zur Seite und versicherte mir, dass es keiner im Haus war, und ich sagte ihr, dass ich nicht einmal an das gedacht hatte. Vor allem würde das ja heißen, dass die Mitarbeiter:innen sich selbst aus einem gut bezahlten Job schmeißen.

Dann ging alles los. Am nächsten Tag war die Polizei bei uns und durchsuchte das Haus. Wir fanden Handabdrücke an der Mauer und hingen den Vorhang noch einmal so gebogen hin, wie er am Tag zuvor war. Roisin und mir wurde ziemlich bald bewusst, dass sich der Einbrecher unter unserem Bett versteckt hatte und sich für längere Zeit, bis wir weg waren, dort versteckte. Allein dieser Gedanke ist bis heute für uns beide schwer zu verkraften. Wir tauschten dann auch das Zimmer, da wir beide dort nicht mehr schlafen konnten. Das Ganze war ein tohuwabohu und ich, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt die Hauptbetroffene war, war am ruhigsten.

Ein ganzer Tag voller Spekulationen und herumwarten verging und am Abend hieß es dann wir fahren zur Polizei. So machten sich Isabel, Roisin und ich uns mit den Mamas und einer Hauptverantwortlichen der Organisation auf den Weg zur Polizei. Spätestens dort änderte sich mein Blick auf materielle Sachen komplett. Wir drei warteten mit Eugen draußen im Auto. Das war eines der Erlebnisse, die meinen Blickwinkel auf die Welt komplett veränderten. Wir bekamen mit, wie Personen, die wir ins Herz geschlossen hatten, verprügelt und wirklich gequält wurden, um eine Antwort aus ihnen herauszupressen. Sie wollten unsere drei verantwortlichen Personen an diesem Abend im Gefängnis behalten. Tina und Jessica, bekam die Organisationsleitung heraus, da die zwei noch junge Frauen waren und sie gut verhandelte. Unseren Torwächter wollten sie jedoch behalten. Tatsächlich brachte uns unsere weiße Haut in dieser schrecklichen Situation einmal einen Vorteil. So fuhren wir an diesem Abend alle zu acht wieder nach Hause.

Das war eines der emotionalsten Erlebnisse, dass ich je erlebte. An diesem Abend wurden sehr viele Tränen der Verzweiflung, Unschuld und Ungerechtigkeit geweint. Ich begriff, dass es nicht um das materielle im Leben geht, sondern um die Erlebnisse, die man mit Herz und Augen macht. Diese sind viel mehr wert, denn die kann dir keiner mehr nehmen. Materielles kann von heute auf morgen einfach weg sein. Roisin und ich führten nach diesem Erlebnis sehr viele Gespräche. Wir reden noch heute darüber und sind immer wieder erstaunt, wie gelassen und mit welcher Stärke ich durch diese Erfahrung durchgegangen bin. Ich gab nie jemandem die Schuld und wenn nur mir, denn wer ist so blöd und lässt alles am Bett liegen, obwohl ein verschließbarer Schrank im Haus ist 😉.

Ich hatte nach diesem Ereignis noch eine Woche Zeit in Tansania und diese genoss ich in vollen Zügen. Ich war im Hier und Jetzt. Lebte im Moment und verbrachte viel Zeit mit den Mamas und meinen Mädels. Wir bekamen sogar einen 50% Rabatt auf einen Ausflug, da die Organisation sagte, wir sollen raus und unsere Köpfe frei machen. Meine Eltern meinten damals, ich solle meine Koffer packen und nach Hause fahren, doch ich blieb, denn ich wusste, dass ich diese fünf Wochen zu Ende bringen werde, egal was noch kommen mag. Ein Tipp meinerseits: legt euch in Afrika nicht mit der Polizei an, sondern seit lieber etwas unterwürfiger und macht das, was sie sagen. Denn es werden hier tatsächlich noch Stöcke und Stangen verwendet, denn nur so bekommt man, ihrer Meinung nach, die Wahrheit aus den Menschen raus.